Guten Abend, meine Damen und Herren, liebe Kunstfreunde und Enthusiastinnen, Bewunderer und Kritiker, – liebe alle!
Willkommen in dieser Eingangshalle zum Rathaus, die man heute auch Wandelhalle nennen könnte – willkommen zu einem wunderbaren Wandel durch die Natur. Durch „Meine Natur“ – d.h. die Natursicht der Wiesbadener Malerin Julia Belot, die nach 10 Jahren zum zweiten Mal an diesem prominenten Ort einen Teil ihrer Werke vorstellt; – auch für mich ein kleines Jubiläum – ich hatte die Ehre – damals sprechen zu dürfen, oder, weniger geschwollen ausgedrückt: schön, dass ich wieder hier sein darf!
Was begegnet uns zuerst, wenn wir den linken Ausstellungssaal betreten? – Gleich gegenüber dem Eingang werden wir empfangen von einem prachtvollen Arrangement. Ich meine dieses 1,85 m hohe Triptychon mit seiner prächtigen Darstellung monumental wirkender Fingerhut-Pflanzen. Die Bildtafeln empfangen uns wie das dreiteilige Tor zu einem üppigen Blumenparadies, in das wir visuell und wenn wir möchten auch emotional eintreten können.
Wobei ausgerechnet bei dem Motiv des Fingerhutgewächses eine interessante Ambivalenz zu verzeichnen ist. Diese krautige Pflanze mit ihren glöckchenförmig aufgereihten Blütenständen ist giftig. Es paaren sich hier also farbkräftige Schönheit mit einer im Verborgenen liegenden Gefahr.
Diese pikante Balance, diese derart feine Hintergründigkeit finden wir in vielen Gemälden der Malerin. Eindrucksvoll veranschaulicht auch durch das ausdrucksstarke Gemälde „Du und ich“ auf der gleichen Wand rechts von den Mittelsäulen:
Auf einem lichtvoll-freundlichen Wald- und Wiesenstück stehen ein junges Mädchen und ein mächtiger Stier einander in recht geringem Abstand gegenüber. In einer Attitüde kurzen Zögerns, dann aber völlig angstfrei und im guten Sinne unbefangen nimmt das Mädchen die Begegnung mit dem kraftstrotzenden Stier wie etwas völlig Normales. Auch der Stier nimmt das Mädchen wahr, verharrt zurück-haltend und aufmerksam zugewandt. In diesem Moment des Nicht- bzw. Nochnicht-Geschehens herrscht eine feine Spannung zwischen dem zarten Verletzlichen und dem großen, dunklen Kraftvollen. Eine ambivalente Spannung, die mit unseren Erwartungen spielt, indem sie sie nicht erfüllt. Das Kind repräsentiert einen Menschen, der in dem Tier nicht sofort das Schlachtvieh sieht. Und der wilde Stier ist nicht so wild, wie es einer weit verbreiteten Vor-Einstellung entspricht.
Von Gefahr aber soll hier im Großen und Ganzen keine Rede sein, obwohl auch im sonstigen Spektrum der Gemälde ein paar zarte Ambivalenzen mitschwingen, die den hier gebotenen Kunstgenuss subtil begleiten.
Die in St. Petersburg ausgebildete Künstlerin ist auch studierte Biologin. Der Kosmos ihrer Naturstücke ist daher von besonderer Plausibilität. Die Beziehung, die Julia Belot zur Natur hat, ist – nach meiner Einschätzung – eine mit allen Poren empfundene Liebe zur Sache. Bei dem Prozess des Wahrnehmens und der künstlerischen Modellierung ihrer Natur mobilisiert sie eine ganz feinnervige Sensibilität. Bei ihr verschmelzen wissenschaftliche und emotional unterfütterter Naturliebe mit künstlerischer Gestaltungslust.
INTENTION
Mit ihrem Blick auf die Natur betont sie vor allem das Lebensvolle, mit ihrer sensiblen und versierten Malweise feiert sie das Schöne.
Diese „Feier“ des Schönen, diese pracht- und lichtvolle Naturmalerei bleibt aber nicht nur äußerlich. Naturschönheit ist nicht blind für eine im Hintergrund lauernde Fragilität. Hinter dem Augenschmaus steckt das Bewusstsein von der Endlichkeit aller Dinge. Werden und Vergehen der vitalen Flora und Fauna sind Teil einer kreisförmigen Logik, die aller Natur eingeschrieben ist.
Hierzu gesellt sich ein erschwerender Faktor, nämlich der Mensch, der zwar auch ein faszinierendes Naturwesen, aber aktuell immer mehr ein eingreifendes, mitunter auch ein disruptives Wesen ist. Die Stichworte sind: Umweltzerstörung, Artendezimierung, Klimawandel usw.
Die Künstlerin thematisiert dies in ihren Gemälden nicht direkt. Ihre Kunst ist fern von allem, was wir als ruppig, aufrüttelnd oder provokant bezeichnen würden. Und doch steht hinter Julias Affinität zur Harmonie ein zarter, authentischer Appell zu Achtsamkeit, – Achtsamkeit im Sinne der Bewahrung allen Lebens.
Mit sicherem Empfinden für Form, Farbe und Licht pflegt Julia einen brillanten naturalistischen Stil. Kraftvoll und zart zugleich, modelliert sie die Stofflichkeit der Dinge, definiert mit ausgewogenen Helldunkel-Kontrasten die Raumtiefe, belebt die Szene durch feine Farbvaleurs und schafft somit ein ansprechendes malerisches Flair an der Grenze zwischen Realismus und Traum.
Aber bevor die Gemälde diese „Metaebene“ bekommen, braucht es Beobachtung und Handwerklichkeit.
Pflanzenwelt, vor allem in der unbehandelten Natur, hat in gewisser Weise etwas Anarchisches. Alles, was da wächst und wuchert, strebt zum Licht und bildet komplexe Strukturen. Wir sehen Krummes, Gerades, Krautiges. Dieses wild-wüchsige Miteinander könnte man auch bezeichnen als Durch- und Zwischeneinander. Achten Sie mal darauf, wie unglaublich geschickt Julia zum Beispiel das wirre Unterholz wiedergibt, aus dem sich dann die eitel-schönen Blumen emporrecken.
Eine besondere Herausforderung (bei solch hochgradigem Naturalismus) ist die Stofflichkeit der Oberfläche aller Dinge. In der Realität ist das Stoffliche greifbar. Julia übersetzt dies in perfekte illusionistische Wiedergabe von > glatt und rau, > glänzend oder stumpf, > seidig geschmeidig oder > holzhart und schroff.
Sie beherrscht diese malerischen Mittel brillant. Gekonnt und elegant macht sie diese fruchtbar, um den Motiven eine atmosphärische, sinnliche Wirkung zu verleihen.
Interessant und überraschend dabei ist:
viele Details, die von Ferne betrachtet homogen und glatt wirken, bestehen von Nahem betrachtet aus neben- und ineinander gesetzten Farbflecken, zu Stande gekommen durch eine belebte Pinselschrift, die erstaunlich mutig, und mit sicherer Hand locker hingetupft ist.
Ein im vergangenen Jahr erschienenes Buch TIERE UND MENSCHEN, das Julias Ehemann Peter Lietz herausgegeben und konzipiert hat, ist darauf angelegt, diesen interessanten handwerklichen Vorgang zu Veranschaulichen. Das geschieht durch extreme Nahaufnahme sowie vergleichende Abbildung in „normaler“ Sichtweise. Dabei zeigt sich, dass die relativ dünne Farbuntermalung mit den dickeren Farb-Batzen zu einer stimmigen Gesamtwirkung verschmelzen. Das gilt auch für die Farbtöne, die in sogenannten „Valeurs“ neben- und ineinander gesetzt werden.
All dies macht die gemalten Objekte lebendig und stimmig. So wie auch in der Realität Formen und vor allem Farben schillern und changieren unter dem Einfluss der dauernd sich wandelnden Lichtverhältnissen in der freien Natur.
Genug der handwerklichen Insider-Informationen, deren Reiz Sie durch eigene Anschauung selbst erschließen können. Es macht Spaß, diese Feinheiten zu entdecken, aber entscheidend für uns Betrachter ist die intuitive Anmutung der Bilder und was uns daran berührt.
TIERE
Tiere sind ein ganz wichtiger Teil von Julias Naturverständnis und künstlerischer Intention. Mit ihren eigenen Worten:
„Ich beobachte und male den Wald, die Gärten in der Umgebung, Tiere aus freier Wildbahn und oft aus der Wiesbadener Fasanerie. Ich denke mir Geschichten aus, die zu Gemälden werden. Im Laufe der Zeit entstanden so diese Bilder, die meine persönliche Sicht auf die Natur dokumentieren und meine eigene Natur offenbaren; ein besonderes Thema ist unsere vielseitige und widersprüchliche Beziehung zu Tieren.“
„Unsere“ Beziehung zu Tieren?
Ja! Beim Thema Tier ist der Mensch immer mitgedacht. Und seine Beziehung – so ergänze ich – pendelt zwischen kultischer Verehrung und Geringschätzung, zwischen Verhätschelung und Qualzucht.
Wir ordnen die Tiere nach Kategorien: Wildtiere, Haustiere, Nutztiere. Wir fürchten sie oder jagen sie, wir knuddeln sie und wir züchten Designmodelle die wir frisieren, mit Schleifchen versehen und auf YouTube stellen.
Wir geben ihnen Namen, wir nehmen sie in unsere Wohnung, und wenn es frostig ist ziehen wir ihnen zum Gassigehen ein Leibchen über. Alles ist herzig, alles ist schön, nur beim Spazierengehen vermeiden wir den Weg, der am Schlachthaus vorbeiführt. Schweine und Rinder, – im Einzelfall tun sie uns leid, in der Masse haben wir sie zum Fressen gern.
Stellvertretend für diese widerstreitenden Aspekte stehen wohl die von Julia porträtierten Kälbchen. Treuherzig und goldig, mit langen Wimpern und weich-wuscheliger Stirn. Und völlig unwissend über die getackerten Zettel in ihren Ohren, mit denen sie als Schlachtvieh ausweisen sind.
„Zum Fressen gern“?
Wir tun dies nicht wirklich aus Bosheit. Zum Teil handelt es sich um – natürliche – Selbsterhaltung, so wie es im Tierreich ja auch Räuber gibt und Opfer. Die archaische Menschheit hat Tiere gejagt und zum Nutzen ihrer Lebensform komplett verwertet. Die faszinierenden Höhlenmalereien vor gut 15ooo Jahren zeugen jedoch von einer Verehrung in Dankbarkeit und somit von großer Achtung der Menschen gegenüber den dargestellten Tieren. Das Problem ist wohl die moderne Massengesellschaft.
Zum Glück hat sich auch heutzutage in später Erkenntnis eine neu gewonnene Achtsamkeit entwickelt.
ZUM SCHLUSS
Als Malerin ihrer harmonischen Natur geht es Julia nicht um Beschreibung eines falschen Paradieses. Das Ästhetische und Harmonische in ihren Bildern kann man verstehen als eine Metapher für das Prinzip Hoffnung. Die Galeristin Cornelia König-Becker sagt in ihrem Vorwort zu dem erwähnten Buch TIERE UND MENSCHEN, Julias Bilder seien „der Entwurf einer Brücke…“ – gemeint ist: eine Brücke über Ambivalenzen oder – viel einfacher: – ein pflegliches Miteinander von Pflanzen-, Tier- und Menschenwesen.
Dabei dürften sich Tier und Mensch in besonderer Weise nahe sein, in beiderlei Richtung – nämlich konkurrierend und/oder harmonierend.
Das, so, denke ich, definiert in etwa die sensible Intention Künstlerin.
Abschließend wünsche ich Ihnen – in Anspielung auf den Wortlaut der netten Einladung, viel Freude beim Rundgang durch die beindruckenden Traumwelten und Momentaufnahmen sowie gute Gespräche mit der talentierten Künstlerin!
Gunter Schmidt
Künstler, Kurator und Pädagoge
Tauberbischofsheim